Bin ich zu dumm, um schlank zu sein?

Denkt man das nicht manchmal? Wir sind alle intelligente Menschen. Wir sind erfolgreich in der Schule, im Studium, in der Arbeit, haben vielleicht eine schöne Karriere oder einen guten Job, eine Familie, die wir mit links managen – und trotzdem können wir nicht abnehmen. Jedenfalls nicht dauerhaft.

Die meisten von uns – oder wahrscheinlich alle – haben Diät nach Diät absolviert, sind begeistert gewesen oder zumindest hoffnungsvoll. Und dann hatten wir auch tatsächlich abgenommen, möglicherweise mit einer ziemlichen Anstrengung und Qual, aber wir dachten, diesmal … Diesmal wird es sich lohnen, dass ich mich so gequält habe. Diesmal bin ich endlich bei meinem Gewicht angekommen und halte es auch. Irgendwann muss es doch klappen.

Und es klappte nicht … Wieder einmal.

Der Frust, die Enttäuschung – und das nach all der Anstrengung, die wir durchgehalten haben. Wir haben so viel Willenskraft, so viel Energie für jede neue Diät und auch für unser Leben. Wir sind nicht die Couchpotatos, als die Übergewichtige und speziell Adipöse immer dargestellt werden. Und doch schaffen wir es nicht.

Und dann fangen wir an, uns selbst Vorwürfe zu machen. Machen uns selbst fertig, indem wir uns selbst die Schuld geben. Schließlich ist es unser Körper, unser Gewicht, unser Fett. Niemand anderer ist dafür verantwortlich als wir. Niemand hat uns dazu gezwungen, uns die Sachen in den Mund zu stecken, die wir uns in den Mund gesteckt haben. Den dritten, vierten, fünften Cappuccino zu trinken statt ein Glas Wasser oder einen Kräutertee.

Das ist oberflächlich betrachtet tatsächlich wahr. Niemand steht mit einer Pistole neben uns und zwingt uns zu essen oder zu trinken. Keiner legt uns eine Infusion mit Cappuccino, gegen die wir uns nicht wehren können. Wir werden nicht zwangsernährt, sondern ernähren uns selbst. Treffen die Entscheidung über jeden einzelnen Krümel oder Tropfen ganz allein.

Und doch ist es genauso wahr wie falsch. Die Pistole, die uns an den Kopf gehalten wird – vor allem, wenn wir abnehmen wollen, aber vielleicht sogar sekündlich während eines jeden normalen Tages – heißt Kalorien.

Wir sind damit aufgewachsen. Jedenfalls die meisten von uns. Ich kann mich aus meiner Kindheit noch an eine Zeit erinnern, in der es keine Kalorien gab. Niemand sprach von Kalorien in den 50er oder 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sogar noch in den 70er Jahren waren sie relativ unbekannt.

Es standen keine Kalorienwerte auf Nahrungsmitteln, ganz zu schweigen von Fett-, Eiweiß- oder Kohlenhydrat-Anteilen. Die meisten der Nahrungsmittel waren zudem unverpackt. Wenn ich in meiner Kindheit mit meiner Großmutter im Laden um die Ecke einkaufen war, schnitt der Ladeninhaber ein Stück Käse von einem größeren Stück ab, verpackte es in Butterbrotpapier (Frischhaltefolie kam auch erst später) und reichte es uns. Das Brot wurde vom Regal genommen und ohne jede Verpackung an uns weitergegeben.

So geschah es auch mit Wurst oder Fleisch oder Gemüse und Obst. Alles lag offen da und hatte weder einen Barcode noch irgendeine Beschriftung. Schließlich weiß man ja, wie ein Apfel aussieht. Denn auch exotische Lebensmittel gab es in meiner Kindheit noch nicht.

Das, was wir kauften, war das, was entweder in der Region auf dem Feld wuchs oder wie Milch oder Käse von Tieren der Region stammte. Auch Milch wurde meist noch unverpackt verkauft. Man brachte seine eigene Milchkanne mit, die dann vom Ladenbesitzer gefüllt wurde. Selbstbedienung gab es nicht.

Der Ladenbesitzer hatte alles da, was man so täglich brauchte. Supermärkte gab es ebenfalls noch nicht. Und so auch nicht die Versuchung endloser Reihen, die mit Süßigkeiten oder sonstwelchen gesundheitsschädlichen Dingen gefüllt waren. Denn der Laden um die Ecke war klein. Nicht viel größer als eine normale Dreizimmerwohnung.

Ja, er hatte auch ein Regal mit Süßigkeiten. Schokolade, vielleicht auch ein paar Kekse. Ein paar Bonbons. Ebenso wie ein paar Bleistifte und Schulhefte, Gummibänder, Schnur oder Alleskleber. Stecknadeln. Das nahm aber nicht sehr viel Platz ein. Dinge des täglichen Bedarfs eben.

In meiner Kindheit war das die normale Art einzukaufen. Man kam aus dem Haus, ging über die Straße auf die andere Seite der Hauptstraße, war in fünf Minuten im Laden und in weiteren fünf Minuten zurück. Und man nahm natürlich immer sein eigenes Einkaufsnetz mit, denn auch das gab es nicht im Laden.

Damals waren es tatsächlich noch Einkaufsnetze, nicht einmal Einkaufsbeutel aus Jute oder Plastik. Die kamen erst später, und ich kann mich noch daran erinnern, wie meine Mutter eines Tages nach dem Samstagseinkauf seufzend bemerkte, dass es doch eine große Verbesserung sei, jetzt Beutel statt eines Netzes zu haben, aus dem immer alles herausstak und herausfiel, wenn man nicht aufpasste.

Man könnte also sagen, diese Art des Einkaufens spiegelte eine Art von Beschränkung wider. Der Überfluss, der heute üblich ist, war noch weit entfernt. Und doch waren wir zufrieden, denn wir kannten es ja nicht anders. Und wir waren immer gut mit allem versorgt, was man so brauchte.

Ebenso beschränkt waren die Essenszeiten. Normalerweise gab es nur drei Mahlzeiten am Tag. Für mich, da ich schon als Kind morgens nichts essen konnte und deshalb zum Leidwesen meiner Großmutter immer ohne Frühstück in die Schule ging, sogar nur zwei. Dazwischen gab es nichts. Wenn ich aus der Schule kam, gab es Mittagessen und viele, viele Stunden danach, wenn auch meine Mutter und mein Onkel von der Arbeit nach Hause gekommen waren, Abendessen. Danach ging es ins Bett.

Fehlt da etwas? Ja. Die Snacks. Das ganze Zwischendurchessen. Das war damals einfach nicht üblich. So etwas war auch gar nicht im Haus. Es gab Äpfel und Birnen aus der Region, wenn man zwischen Mittag- und Abendessen einmal Hunger hatte. Mehr nicht.

Kein Wunder, dass die Leute damals schlank waren. Das war weniger ihr Verdienst als der Verdienst der Zeit. Einer Zeit, in der sich niemand viele Gedanken über Essen machte und auch keine Kalorien zählte. In der es keine Sportstudios oder Fitnesskurse gab und auch niemand, der meinte, er müsste jetzt unbedingt Sport machen. Man hatte tagsüber genug Bewegung.

Die meisten Leute gingen zu Fuß zur Arbeit oder zumindest zum Bus oder zur Bahn. Sehr viele Familien hatten kein Auto. Das konnten sich nur Leute leisten, die gut verdienten. Was für die wenigsten zutraf. Manche fuhren mit dem Fahrrad oder mit dem Moped.

Preisfrage: Wären wir, die wir uns heutzutage mit unserem Gewicht quälen, damals übergewichtig gewesen?

Die Antwort liegt auf der Hand: wohl eher nicht. Natürlich gab es Leute, die etwas mehr auf den Rippen hatten, und Leute, die eher hager waren. Das ist nun einmal die menschliche Natur. Unsere Gene geben vor, wie groß wir sind und auch, ob wir eher rundlich oder hager sind. Das alles liegt im Normalbereich mit Abweichungen innerhalb dieses Bereichs, die nicht weiter auffallen.

Heutzutage ist das anders. Es gab Zeiten, da passte ich kaum in einen Stuhl mit Seitenlehnen oder einen Flugzeugsitz.

Wie konnte das nur passieren? War ich das schuld?

In gewisser Weise natürlich ja, wie oben schon gesagt, aber in anderer Hinsicht auch nicht.

Denn mein Gewicht wurde und wird – wie das aller Menschen – von Hormonen gesteuert, von denen ich lange Zeit gar nichts wusste.

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Fortsetzung folgt