„Diät“ heißt ja ursprünglich nicht umsonst einfach nur „Lebensstil“. Leider ist diese ursprüngliche Bedeutung aber durch eine sehr eingeschränkte Sichtweise heutzutage verlorengegangen. Statt einen Lebensstil darunter zu verstehen, der schlank macht und schlank hält, versteht man darunter jetzt irgendwelche unnatürlichen, quälenden Foltermethoden wie sich beispielsweise wochenlang nur mit Eiweißdrinks zu ernähren. Was für ein Lebensstil soll das sein? Es ist keiner.
Ein Lebensstil ist etwas, das man sein Leben lang tut. Diätmethoden, die man nur einige Wochen oder vielleicht Monate durchhalten kann, nicht aber für den Rest des Lebens, sind deshalb keine guten Methoden.
Wenn man sehr verzweifelt ist, greift man schon mal zu Radikalmethoden, weil man endlich Erfolge sehen will. Das ist durchaus verständlich. Jeder, der schon mal über 100 Kilo gewogen hat, wird das sicher verstehen. Und wenn man sich dann mal ein paar Eiweißdrinks kauft oder eine Weile fastet, nur, damit die ersten Kilos schnell verschwinden – warum nicht? Obwohl die ersten Kilos meistens ohnehin schnell purzeln.
Wenn man sich aber angewöhnt, das als eine Methode zu betrachten, mit der man sich einen höchst ungesunden Lebensstil leisten kann, der immer wieder zu Gewichtszunahmen führt (die man dann wieder durch irgendwelche Radikalkuren rückgängig zu machen versucht), dann tut man seinem Körper nichts Gutes.
Menschen, die „normal“ essen, werden nicht dick. Außer sie haben eine Krankheit, die das bewirkt, aber diese Menschen meine ich jetzt nicht. Für Krankheiten gelten andere Maßstäbe. Ich meine körperlich gesunde Menschen, die zunehmen, weil sie ständig Süßes oder Fettes essen – oder beides zusammen wie in Schokolade und Co. Junge Menschen, die sich statt von Wasser oder Fruchtsaft ausschließlich von süßen Getränken mit viel Zucker ernähren und dadurch jeden Tag Tausende von Kalorien zu sich nehmen, ohne dass sie noch zusätzlich essen müssten. Was sie aber natürlich dann auch noch tun. Von süßen Getränken allein ernährt sich wohl kaum jemand. Und selbst wenn man es tun würde, würde man davon dick werden, weil diese Getränke nicht satt machen und man Unmengen davon trinken kann.
Teenager, die schon über 100 Kilo wiegen, waren in meiner Jugend fast unvorstellbar. Es gab pummelige Leute, auch etwas mehr als pummelig, aber das lag alles noch im zweistelligen Bereich. Darüber hat man sich damals keine Gedanken gemacht. Und diese Leute waren die Ausnahme. Die Mehrheit der Menschen war natürlich schlank, ohne dass sie sich um eine spezielle Lebensweise gekümmert hätten.
Der Lebensstil war wesentlich einfacher. Es gab diese ganzen Softdrinks und in Tüten verpackten Lebensmittel nur ausnahmsweise. Es gab auch nicht so viele verschiedene Sorten davon, nicht ganze Regalwände im Supermarkt. Zudem waren diese Sachen vergleichsweise teuer, und somit kaufte man sie nicht ständig, sondern griff zu preiswerteren, meist natürlichen Lebensmitteln. Milch und Wasser beispielsweise.
Für die Schule bekamen wir ein Brot mit Käse oder Wurst mit und einen Apfel. Davon wird niemand dick. Außer bei extrem verwöhnten Kindern gab es für die Schule keine Schokoriegel oder süße Getränke. In der ersten Klasse gab es in der Schule eine Tüte Milch zum Frühstück.
Erscheint das heutzutage nicht geradezu ärmlich? Das ist normales Essen, ein Lebensstil, der nicht dick macht. Hätten wir das beibehalten, wäre kaum jemand von uns dick geworden.
Aber reiche Leute waren damals meistens schon dicker als arme Leute. Weil sie es sich leisten konnten. Sie mussten beim Einkauf nicht auf den Preis achten, und daraus ergab sich, dass sie mehr Sachen kauften, die dick machten. Dass sie generell auch mehr aßen.
Da die Mehrheit der Bevölkerung nicht reich war, blieben sie schlank. Aber heute sind wir alle reich. Denn all diese dickmachenden Lebensmittel sind ungeheuer billig geworden. Jeder kann sie sich leisten. Zudem kann sich heute fast jeder Mensch beispielsweise ein Auto leisten, was damals nicht der Fall war. Also ging man mehr zu Fuß oder fuhr mit dem Fahrrad. Statt Rolltreppen oder Aufzügen gab es normale Treppen, die man mit eigener Muskelkraft bewältigen musste, wollte man nach oben oder nach unten. Man hatte oft gar nicht die Wahl, statt einer normalen Treppe einen Aufzug zu benutzen, verbrauchte also schon bei ganz normalen täglichen Wegen mehr Kalorien, ohne dass man erst die Entscheidung treffen musste, lieber die Treppe statt den Aufzug zu nehmen.
Heute ist es ganz anders. Das sind Änderungen des Lebensstils. Es ist kein Wunder, dass das nicht spurlos an uns vorübergegangen ist. Der schlanke Lebensstil, der für unsere Vorfahren noch normal war – oft aus Zwang, weil man sich eben etwas anderes nicht leisten konnte –, ist heute nicht mehr normal. Heute muss man sich bewusst dafür entscheiden, weniger zu essen, die richtigen Dinge zu essen, mehr zu laufen als sich fahren zu lassen. Das macht das Leben in der Tat schwieriger. Die einfachere Variante, die bequeme Variante, die uns als Menschen liegt, ist oft die, die dick macht.
Wir können uns eine Menge Lebensmittel leisten, die uns überhaupt nicht gut tun. Wir können es uns leisten, im Auto bis vor die Tür zu fahren, wir müssen kaum einen Schritt machen in vielen Berufen. Wir verlassen das Bett, machen ein paar Schritte zum Frühstückstisch und zur Tür hinaus, dann setzen wir uns ins Auto, fahren zur Firma, gehen in unser Büro – und sitzen dort den ganzen Tag. Dann gehen wir wieder nur die paar Schritte zum Auto, fahren nach Hause, lassen uns auf die Couch fallen und essen eine Tüte Chips. Wir sind ungeheuer verwöhnt, was das betrifft. Wie früher nur extrem reiche Menschen.
Meine Mutter lief morgens eine Stunde lang zu Fuß zur Arbeit. Und abends die Stunde wieder zurück. Jeden Tag. Sie brauchte kein Fitness-Studio, keine besondere Ernährung oder sonst etwas. Sie bewegte sich den ganzen Tag. Und Essen gab es nur in der Mittagspause. Ansonsten gab es keine Gelegenheit dazu. Gegessen wurde eine normale Portion (die heute vielen sicher klein erscheinen würde) von normalen Sachen wie Schnitzel, Gemüse und Salzkartoffeln. Keine Pommes. So etwas war damals nicht „normal“.
Heute könnte man das fast beneiden. Damals war es wesentlich einfacher, nicht dick zu werden, ohne dass man auf irgendetwas achten musste.