Dieses Modell enthält einen grundsätzlichen Denkfehler. Es geht davon aus, dass die Kalorien, die wir verbrennen, genauso unveränderlich sind wie die Kalorien, die wir zu uns nehmen. Viele von uns haben während unserer Diäten schon empirisch nachgewiesen, dass das so nicht funktioniert. Denn dieses Modell setzt voraus, dass der Energieverbrauch – ohne Sport – immer gleich bleibt. (Aber auch Sport ändert nicht viel daran, wie schon mehrfach wiederholt. Wir sind richtige Energiesparwunder, was das betrifft.)
Wäre das – ein immer gleicher hoher Energieverbrauch in Ruhe – in den Zehntausenden von Jahren der menschlichen Entwicklung sinnvoll gewesen?
Wohl nicht. Unsere Vorfahren hatten den Luxus von Supermärkten nicht, und sie hatten auch nicht den Luxus eines so geregelten Lebens – zudem noch mit Fernseher und Kühlschrank. Sie mussten sehr oft mit Nahrungsengpässen klarkommen, bekamen also unter Umständen weniger Nahrung, als sie verbrauchten. Und das über längere Zeit.
Wenn nun der Verbrauch immer gleich geblieben wäre während solcher Perioden, was wäre dann passiert?
Richtig. Höhlen voller toter Neandertaler. Verhungert, weil ihr Körper nicht herunterschalten konnte. Deshalb war ein solcher Mechanismus unabdingbar, um die Art zu erhalten – was ein ganz entschiedener Wunsch der Natur ist, wenn wir ihr nicht dazwischenfunken.
Längere Hungerperioden bedingten also eine Angleichung des Verbrauchs. Es wurde beispielsweise weniger Wärme produziert, weil weniger Kalorien verbrannt wurden. Die Menschen froren oder mussten sich dicke Pelze umlegen – aber sie überlebten. Weil das Auto länger mit weniger Verbrauch fahren konnte.
Nein, es gab damals keine Autos, das ist nur eine Analogie. Schwache Menschen starben, Kinder, alte Leute, Kranke, aber der Stamm an sich, die Stärksten des Stammes hungerten sich bis zum nächsten Frühling durch. Das ist der ganze Zweck der Übung.
Sobald es wieder etwas zu essen gibt, kann man zuschlagen, man muss sich nicht beschränken, man kann essen, bis man fast platzt, wenn das Nahrungsangebot es hergibt.
Und man nimmt natürlich zu. Was der Sinn der Sache ist. Denn vorher war man ja schließlich nur Haut und Knochen, hatte kaum noch genug Kraft, um das Mammut zu jagen. Das ist kontraproduktiv.
Ständiges, regelmäßiges Essen – ein permanentes Angebot von Kalorien – ist nichts Natürliches. Es ist eher die Ausnahme als die Regel. Es ist ein Glücksfall, den man ausnutzen sollte. Sich eine dicke Fettschicht anfuttern für den nächsten Winter, für die nächste Dürre, für die nächste Heuschreckenplage oder den nächsten Krieg.
Dumm nur, wenn das alles nicht kommt und man Heizung und Wasser im Haus hat, den Supermarkt um die Ecke, die Gefriertruhe im Keller. Da steht man dann plötzlich mit Übergewicht vor dem IKEA-Spiegel, bevor man sich umschauen kann.
Die Natur wehrt sich gegen eine solche Perversion des eigentlich Geplanten, indem sie uns sogenannte zivilisationsbedingte Krankheiten schickt. Neandertaler, die an einem Herzinfarkt, an Krebs, Diabetes oder zu hohem Blutdruck gestorben sind, sich Sorgen über ihre Cholesterinwerte machen mussten, durften wohl die Ausnahme gewesen sein.
Die Natur schlägt also zurück. Sie versucht den ursprünglichen Plan einzuhalten. Mit 7 Milliarden Menschen auf der Welt sieht es ganz so aus, als ob sie versagt hätte. Es gibt immer noch nicht genug tödliche Krankheiten (oder wir so erfindungsreichen Menschen forschen so lange, bis wir ein Mittel dagegen gefunden haben), um ausreichend viele Menschen zu vernichten. Den Winter überstehen wir locker mit technisch hochfunktionaler Kleidung aus Fasern, die es in der Natur nie gab, wir verlieren in den kalten Monaten kein Fett, wir setzen es an. Statt rank und schlank in den Frühling zu starten kämpfen wir noch mit der Weihnachtsgans von den Feiertagen auf unseren Hüften.
Verkehrte Welt, wirklich. Wenn man sich das mal überlegt: Wie einfach wäre das Übergewichtsproblem gelöst, wenn man im Winter nur nichts essen würde bis zum Frühling? Oder nur extrem wenig? Das, was wir gerade noch so vor Einbruch des Winters erjagen, sammeln und einlagern konnten. Damit müssen wir bis zum Frühling auskommen, denn im Winter kommt nichts zu diesen Vorräten hinzu. Sie werden nur immer weniger. Wie unsere Fettspeicher …
Ja, das wäre eine wunderbare Welt mit ausschließlich schlanken, gesunden Menschen. Keine Diäten, kein Übergewicht, keine Zivilisationskrankheiten, kein The Biggest Loser. Ein Traum, wirklich.
Aber erstens war diese Welt kein solcher Traum, das ist alles nur Illusion, es war eine harte und ungerechte Welt, in der selbst der beste Mensch nicht überleben konnte, wenn er körperlich nicht stark genug war oder das Pech hatte, krank zu werden, behindert zur Welt zu kommen oder sonst etwas, und zweitens müssen wir uns den Realitäten stellen, wie sie heute sind. Und das heißt: Übergewicht, Zivilisationskrankheiten, und eine Menge Menschen, die mit Diäten ihr Geld verdienen und davon nicht lassen wollen.
Ist ja auch eine endlose Einnahmequelle. Jeden Tag werden Hunderttausende, vielleicht Millionen von neuen Dicken geboren. Schon unsere Babys sind übergewichtig, wenn sie zur Welt kommen. Aber selbst, wenn sie als Säugling oder Kleinkind nicht übergewichtig sind, wartet nur ab, bis ihr groß werdet! Mit all den Softdrinks und in Tüten verpackten Giftportionen, raffinierten Süßigkeiten ohne jeden Nährwert, aber mit Suchtpotential werden wir euch schon kleinkriegen.
Beziehungsweise groß. Groß und dick. Bis ihr dann bei The Biggest Loser mitmachen könnt.
Wäre nicht allein das schon ein Grund, das Dickwerden zu vermeiden? Oder sich von seinen überflüssigen Kilos zu verabschieden?
Wir brauchen sie nicht mehr. Es gibt keinerlei Veranlassung, sich überhaupt mehr als Normalgewicht zuzulegen. Denn wir müssen keinen Winter durchhungern.
Aber leider ist das Kind nun schon in den Brunnen gefallen. Nur zu sagen: Werdet doch einfach nicht dick, funktioniert nicht. Denn wir sind es schon und werden immer dicker.
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Wird fortgesetzt